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Auf ein Bier mit Schauspieler Adrian Hildebrandt 

Ein Interview von Simone Saftig

Adrian Hildebrandt im Monodrama „Event“ von John Clancy

Nach seiner Schauspielausbildung  an der Anton-Bruckner-Privatuniversität in Linz und Engagements in Linz und am Volkstheater Wien kehrte Adrian Hildebrandt 2020 in seine Heimatstadt zurück, um am Theater Duisburg zu spielen. Ich habe ihn nach seiner Aufführung des Stücks „Event“ von John Clancy, in dem er 90 Minuten alleine auf der Bühne steht, zum Gespräch getroffen. Bei alkoholfreiem Weizen (er) und frisch gezapftem Pils (ich) haben wir uns in der kultigen Kantine des Theaters unterhalten: über das Stück, die Rolle des Schauspielers, seinen Weg ans Theater und natürlich: das Ruhrgebiet.

Simone: Lieber Adrian, vielen Dank, dass du dir nach diesem 90-minütigen Ritt noch für ein Interview Zeit nimmst. Was war das Erste, das du gemacht hast, nach deinem anderthalbstündigen Monolog?

Adrian: Was trinken, aus den Klamotten raus, (lachend) die Negativgedanken und die Selbstkritik vertreiben – das war das Erste, was ich gemacht hab. Ich bin auch niemand, der sich sofort in die Menge stürzt, sondern gehe lieber in die Garderobe, bin für mich und komme ein bisschen runter.

Simone: Jetzt hast du gerade die Selbstkritik angesprochen. Irgendwann gegen Ende des Stücks sagt deine Figur in etwa: „Ich hoffe, das Stück war gut und bin mir selbst nicht sicher.“ Steckt da also ein Funken Wahrheit drin?

Adrian: Also ich glaube, ich kann mal für die Kollegen sprechen: Ich glaub, das hat jeder. Weil – und das ist jetzt eine große Neuigkeit – Theater ist ja kein Film, sondern jedes Mal ein Live-Erlebnis und jedes Mal macht man Dinge anders oder fühlt die Dinge anders, macht Fehler, Dinge passieren, die so nicht kontrollierbar sind. Man sollte sich natürlich nicht fertig machen, aber es ist schon so, dass sich viele Kollegen – und auch ich – dann fragen: Wie war's? Was kann man noch anders machen oder besser? Natürlich alles im Rahmen – bevor es in die Selbstverletzung geht. Aber das, was der Mann ganz am Ende sagt, diesen Satz/das Gefühl kennen ich und auch viele andere ziemlich gut. Wie war's? Ich bin mir nicht ganz sicher. Manchmal denkt man, dass man die Bühne gerockt hat und den Text drauf hatte, doch der Regisseur kommt danach auf einen zu und sagt: Heute warst du aber ein bisschen müde. Und manchmal ist es genau andersherum: Du hast das Gefühl, du hast nur Text nachgeplappert und es gibt Leute im Publikum, die heulen. Ich versuche das aber zu trennen: Es war so wie es ist und es kann auch gut gewesen sein, wenn es sich nicht so anfühlt.

Simone: „Event“ ist ja gerade auf diese Themen bezogen ein sehr besonderes Stück, da du als Schauspieler selbst kommentierst, was du tust und das ganze Theater gewissermaßen dekonstruierst. Vielen Theatermacher*innen liegt ja viel daran, das Theater und alles drumherum zu mystifizieren. Stößt man da als Schauspieler auf innere Widerstände, wenn man plötzlich alles aufdecken soll?

Adrian: Ganz klar: nein! Ich habe den Text gelesen und die Prämisse des Textes ist ja in etwa so, als würde man in der Schule ein Referat darüber halten, wie man daran denkt, ein Referat zu halten, was zunächst nicht hochintellektuell ist. John Clancy ist ein guter Theaterautor, der das natürlich alles kennt. Natürlich lässt er nicht einfach einen Schauspieler auftreten und ihn sagen: Ich bin Adrian Hildebrandt, und deswegen mach ich das so und so, sondern er benutzt die dritte Person, damit man diese brechtsche Distanzierung hat. Das macht es einfach, sich als Schauspieler reinzulegen. Ich spiele und – und das ist sowieso meine Haltung zum ganzen Theater – bin immer ich selber. Klar, man hat mal eine andere Form, manchmal hinkt man, manchmal lacht man, aber man ist immer man selber mit all seinen Schwächen und Stärken. Man sieht bei mir den Bauch und die Selbstzweifel, aber gleichzeitig vielleicht auch die Arroganz, den Narzissmus oder die Jovialität und das verbindet sich mit dem Text zu einer Rolle und so hat man eine Figur. Es ist dann egal, ob der Autor in der dritten Person schreibt oder man ein Opossum spielt. Ich nehme den Text, lerne ihn auswendig und behandle meine eigenen Probleme. Ich verknüpfe zwar nicht alle Bilder mit eigenen Erfahrungen, aber das bin ja alles Ich. Deswegen ist es für mich – nicht böse gemeint – uninteressant, wie der Text geschrieben ist, sondern es geht mir darum, was ich damit erreichen will.

Simone: Das da wäre?

Adrian: Naja, das unterteilt man ja wieder in Szenen. Es ist ja auch so ein Mythos zu behaupten: Es gibt einen ganz großen Bogen bzw. die Figur hat einen Bogen. Wenn es ein gutes Stück ist, ist die Figur am Ende eine ganz andere als am Anfang. Und auf „Event“ bezogen, finde ich schon, dass das eintritt: „Der Mann“ lernt. Er kann zwar alles anklagen oder bejubeln, aber schlussendlich hat er dann akzeptiert: Aha, das ist jetzt das Ereignis, es ist das Theaterspiel, ich beuge mich dem, aber wenigstens sage ich jetzt meinen wahren Namen. Ich sage ganz am Ende des Stücks nicht mehr „Ein Mann“, sondern ich sage „Adrian“. Und sage damit auch: Die Worte waren nicht meine eigenen, aber ich habe meinen Job gemacht. Und, ich finde, das ist ein großer Unterschied zum Anfang des Stücks.

Simone: Am Anfang wurde ja auch die Beziehung zwischen Schauspieler und Publikum thematisiert und es ging darum, dass unterschiedliche Leute im Publikum sitzen. Wann bist du aufgeregter, wenn da nur Fremde sitzen oder Leute, die du kennst?

Adrian: Ich bin immer aufgeregt. Also hier im Haus kennen die Leute das schon: Wenn ich schlechte Laune habe und aufgeregt bin und nicht ansprechbar, habe ich Aufführung. Es waren heute zehn Leute da und wir waren in unserer kleinen Spielstätte. Nicht, dass ich das nicht wertschätze, aber ich war „trotzdem“ aufgeregt. Also vor der Aufführung habe ich Derealisationsprozesse, ich zerfließe, kein Witz! Und dann trete ich auf und manchmal habe ich Glück, ich sage die ersten paar Sätze und es ist weg. Und manchmal habe ich Pech, es tritt immer wieder mal auf oder es bleibt eine „Grundpanik“ bestehen. Aber schlussendlich gibt es immer etwas stärkeres und das ist: weitermachen. Nur lustigerweise erinnert sich mein Gehirn da nicht dran, denn vor der nächsten Vorführung ist es wieder dasselbe. Und dabei ist es auch uninteressant, ob ich – wie jetzt – 33 Seiten Text habe oder nur sage „Ja, meine Königin“. Langer Rede kurzer Sinn: Ich bin aufgeregt. Zum Beispiel am Montag hatte ich einen Liederabend und mein Vater war da. Und da muss ich ganz ehrlich sagen, das macht keinen Unterschied.
 

Der Schauspieler erklärt die Bedeutung von Requisiten, indem er eine Liebesszene mit einem Stuhl nachstellt.

Simone: Im Stück wird ja auch davon gesprochen, wie es konkret ist, wenn Angehörige im Publikum sitzen und dass diese häufig ein Gefühl zwischen Stolz und Scham verspüren. Hast du diese Erfahrung auch in deinem Umfeld gemacht?

Adrian: Meine Familie hat wenig mit Theater am Hut, sie stehen dem nicht feindlich gegenüber, aber es ist einfach nicht ihre Lebenswelt. Trotzdem besucht mein Vater fast alle Stücke, die ich hier spiele und war auch in Linz und Wien, schaut sich das an und sagt mir ehrlich seine Meinung. Ich glaube schon, dass mein Vater sagen würde: Ich würde jetzt nicht vor 150 Leuten nur mit Schürze bekleidet auftreten. Aber das ist keine aktive Scham, sondern er winkt das eher ab mit der Aussage „ach ja, die Theaterleute ...“ und ist gleichzeitig stolz. Jedes Mal, wenn mein Vater mich abholt (ich wohne zwei Minuten vom Theater entfernt) gibt es zwei Wege zur Autobahn: rechts an der Parallelstraße und links am Theater vorbei. Ich sage dann immer: Fahr doch mal rechts und er sagt: Nee, ich fahr links, am Theater vorbei, da arbeitet mein Sohn. Da schäme ich mich dann, aber gleichzeitig kann ich das nachvollziehen. Da geht es um Anerkennung und Stolz.

Simone: Du bist ja gebürtiger Duisburger und hast schon in Österreich gelebt und gearbeitet. Also muss ich natürlich diese Frage stellen: Was ist denn das Beste am Pott?

Adrian: Ja, ich habe in Linz und in Wien gelebt und gearbeitet, aber Linz ist die österreichische Stahlstadt, also ist Linz quasi sowas wie das „österreichische Duisburg“ – oh Gott, die armen Linzer!
Ich muss ganz ehrlich sagen: Das Ruhrgebiet, oder Duisburg, ist für mich einfach – ohne sentimental zu werden – Heimat. Es ist aber natürlich noch ein Unterschied, wo man in Duisburg lebt. Jetzt wohne ich in der Innenstadt, aber ich komme eigentlich aus dem Norden, da sind die Stahlwerke und die Industrie und da herrschen auch Armut und Arbeitslosigkeit. Das ist hier in der Innenstadt bzw. im Süden, wo man heimlich betet, dass man ja eigentlich schon zu Düsseldorf gehört, natürlich ein bisschen anders.

Was ich von Zuhause mitgekriegt habe ist, dass weniger die Region, sondern vielmehr – ein veraltetes Wort – die Klasse entscheidend ist. Wir sind eine Arbeiterfamilie und Leute arbeiten mit ihren Händen und dem Körper, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Da ist jetzt nichts besser dran, als in einem Büro zu arbeiten, aber es ist einfach ein Unterschied. Man startet von einer anderen Ziellinie. Und das ist mir viel bewusster, als zu sagen „Ich bin ein stolzer Duisburger“ oder „Ich komme aus dem Pott“. Klar, man kennt die ganzen Klischees, die ja auch stimmen: schlechte, Laune oder dass man auf die Frage „Wie geht's“ mit „Halt die Fresse“ antwortet – das gibt’s alles, das ist ja ganz lustig, das ist auch nicht immer ehrlich, sondern meistens eher verbittert und frustriert. Aber meine Heimat zeichnet sich eher dadurch aus, dass das Leute sind, die eben nicht das Klavier oder den Dostojewski Zuhause stehen haben.

Simone: Wo kam dann bei dir dein Interesse für das Theater her?

Adrian: Das war über die Schule. Ich war der Zweite in meiner Familie, der aufs Gymnasium gegangen ist, seit wir hier sind (seit 1890) und dann war da eine Theater-AG. Bei einem Schullandheimausflug haben meine Klassenkameraden mich mit Lebkuchen beworfen und ich habe in meiner Aufregungen einen Monolog gehalten. Daraufhin hat meine Englischlehrerin mich angeguckt und gesagt: Du gehst in die Theater-AG!

Simone: Das könnte man sich ja nicht besser ausdenken!

Adrian: Es ist wirklich wahr! Und dann kam ich zum Theater. Bis dahin wollte ich eigentlich Archäologe werden, weil mich Geschichte interessiert hat, dann habe ich aber gemerkt: Als Archäologe muss man wirklich was können und entschieden, Schauspieler zu werden. Ein ganz wesentlicher Aspekt: Ich war hier im Jugendklub, den Michael Steindl, der Regisseur des heutigen Abends, aufgebaut hat. Und ich muss wirklich sagen, damit hat er Leuten aus Familien, die nichts mit Theater am Hut haben, eine theatrale, dramatische Heimat geboten und auch viele Leute auf den Weg geschickt. Also auf den Weg Richtung Schauspielschule, Regie, Kostümbild u.a. Und so habe ich dann auch meinen Weg zur Schauspielschule gefunden.


Event

Schauspiel | Theater Duisburg 
von John Clancy | Deutsch von Frank-Patrick Steckel

Mehr Informationen, Termine und Tickets gibt es hier.


Das Interview „Auf ein Bier mit Schauspieler Adrian Hildebrandt“ wurde von unserer RuhrBühnen-Bloggerin Simone Saftig geführt. Ihre Kritik „Die Dekonstruktion des Theaters oder »eine Art Kunst-Meta-Performance-Scheiße«“ zum Stück „Event“ gibt weitere Einblicke.

Mehr über den Blog, das Projekt und unsere RuhrBühnen-Blogger*innen gibt es hier.

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