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„Die Polizey ist nur so gut wie die Gesellschaft gut ist“

Auf der Grundlage von Friedrich Schillers Fragment „Die Polizey“ (mit lang gezogenem e) inszeniert Anna-Elisabeth Frick am Schlosstheater Moers ein Stück, das die eigene Wahrnehmung auf allen Ebenen herausfordert. Ein Beitrag der RuhrBühnen-Bloggerin Lea Wunderlich.

Die Polizey hat das Publikum genau im Blick. 

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser

Der Einlass wird strengstens kontrolliert, Taschen werden gescannt, die Zuschauer*innen einzeln zu ihren Plätzen geführt. Der Pfad ist genau festgelegt, wer davon abweicht wird auf der Stelle ermahnt: „Nicht auf das Grün treten!“ Auf dem länglichen grünen Teppich, der zwischen zwei Stuhlreihen eine Art Korridor bildet, dürfen sich nur die Charaktere des Stücks bewegen. Kaum auf den Plätzen angekommen, geht die Überprüfung weiter. Freundlich, aber bestimmt fragt eine junge Frau nach dem Namen, ob man heute schon etwas getrunken oder Tabletten genommen hätte. Nachdem alles notiert wurde, wendet sie sich dem nächsten Gast zu. Weiter hinten in der Reihe ist jemand unerlaubt aufgestanden. Sofort wird die Person von mehreren Schauspieler*innen umringt. „Warum sind Sie aufgestanden? Stimmt etwas nicht?“ Keine Bewegung bleibt unbemerkt und unkommentiert, ähnlich wie in einem Überwachungsstaat. Und genau dieses Gefühl breitet sich aus, das Gefühl beobachtet zu werden und keinen eigenen Gedanken mehr fassen zu dürfen. „Die Zuschauer werden in das Geschehen mit hineingezogen und sehen die großen Räder der großen Maschine in Bewegung.“

Eine bunte Mischung  

Und dann wird es dunkel. Eine Kinderstimme vom Band ertönt. Eifrig liest sie den Prolog vor, in dem es unter anderem heißt: „Das Jahr war ein Jahr des Schreckens gewesen… Denn viele Zeichen und Wunder waren geschehen und über Meer und Land hatten sich die schwarzen Schwingen der Pest ausgespannt.“ Natürlich kommen jetzt Gedanken an die aktuelle Pandemiesituation mit all ihren großen und kleinen Freiheitseinschränkungen auf. Nach dem Prolog erklingen die ersten Töne des eigens für das Stück komponierten Soundteppichs, während die Schauspieler*innen nacheinander zu den Mikrofonen, die an langen Kabeln von der Decke baumeln, greifen und gewissenhaft die Leitsätze der Polizey aufsagen. Durch das Raumbühnenkonzept ist es unmöglich alles im Blick zu behalten. Köpfe wandern von links nach rechts und wieder in die Mitte. Mal werden die Sounds so laut, dass das Gesprochene  undeutlich wird. 

Mit „Die Polizey“ hinterließ Schiller nicht viel mehr als eine Materialsammlung, die für sich genommen noch lange kein Theaterstück bildet. Regisseurin Anna-Elisabeth Frick und Dramaturgin Viola Köster lösen dieses Problem, indem sie weitere Texte mithineinmischen. Das Repertoire reicht dabei von Auszügen aus Schillers Doktorarbeit über Wilhelm Tell bis hin zu Luis Bunuels „Das verschwundene Mädchen“ und noch vielen weiteren. Entsprechend besteht das Stück aus einer Aneinanderreihung von Episoden, Szenen mit anspruchsvollen Texten, über deren Bedeutung man als Zuschauer*in gerne noch etwas länger nachgedacht hätte. Doch sonderlich viel Zeit zum Nachdenken bleibt nicht. Nahtlos knüpft eine Episode an die andere an und es fällt zunehmend schwerer die eigenen Gedanken zu sortieren. 


Wer hat den Mord in der Rue Morgue begangen? 

Die zwei Gesichter der Polizey 

Zu den Aufgaben der Polizey gehört der Schutz des Eigentums, der Bevölkerung und der Wirtschaft, sie ist sowohl „verhütend“ als auch „rächend“. „Unter der Maske“ widmet sie sich der „Reinigung der Sitten“ und schreckt auch vor der ein oder anderen Grenzüberschreitung nicht zurück. Diese zwei Gesichter der Polizey, das Fürsorgliche und das Verbrecherische, werden gegenübergestellt: Da ist zum einen die bis ins Absurde geführte Nacherzählung von Edgar Allan Poes „Doppelmord in der Rue Morgue“,  in der ein Orang-Utan als Mörder überführt wird. Nach der Aufklärung des Falles macht sich Erleichterung auf der Bühne breit, auch das Publikum wiegt sich in Sicherheit. Doch dann schlägt diese Leichtigkeit mit einem Mal in Gewalt um. Die Zuschauer*innen werden Zeugen von Demütigung und Machtmissbrauch. Das Opfer wird dabei erschreckend überzeugend von Emily Klinge verkörpert. Nachrichten über den Tod von George Floyd blitzen vor dem inneren Auge auf. In einer anderen Episode wird die Polizey wiederum als fürsorglicher Oktopus beschrieben, dessen Tentakeln helfend in jedes Haus eindringen und alles fest im Griff haben. 

„Die Polizey“ war von Schiller als eine Realitätsanalyse gedacht worden, die die gesamte Stadt Paris umfassen und die Gesellschaft abbilden sollte. Als Forschungsinstrument diente ihm dabei die Pariser Polizeibehörde, ein Knotenpunkt, an dem Ordnung und Chaos, Schutz und Gewalt zusammenfließen. Passend dazu stellt Anna-Elisabeth Frick bei Ihrer Inszenierung die Frage „Wie stehe ich zum Staat und was bedeutet Staat überhaupt?“ in den Mittelpunkt. 


Der Orang-Utan wird als Mörder überführt.

Schiller und sein Kontrollwahn 

Auf dem Revier der Polizey herrscht Hochbetrieb: Akten werden hin- und hergetragen, Telefonate geführt, alles geschieht im Takt der Maschine. Auch wenn jeder beschäftigt erscheint, wirklich arbeiten tut hier niemand, zumindest nicht effizient, wie die ständige Wiederholung der Tätigkeiten vermuten lässt. Vielleicht ein kleiner Seitenhieb an die Behörden? Plötzlich klingelt eines der altmodischen Wählscheibentelefone. Alle bleiben stehen und lauschen ehrfürchtig einem röchelnden Husten am anderen Ende der Leitung. Der an Schwindsucht erkrankte Schiller persönlich schaltet sich als oberste Kontrollinstanz ein. 

Doch an Kontrolle ist in dieser Inszenierung nicht zu denken. Das Publikum wird vielmehr mit tausenden offenen Fragen zurückgelassen. Und genau das ist gewollt, als Gegenentwurf zu einem Schiller, der die Reaktionen des Publikums exakt vorausplant. Die Rechnung von Anna-Elisabeth Frick  geht auf: Die Zuschauer*innen gehen mit unterschiedlichen Ideen, Gedanken und vielleicht auch etwas überfordert nach Hause. 


Die Polizey

nach einem Fragment von Friedrich Schiller | Schlosstheater Moers
Inszenierung und Textfassung: Anna-Elisabeth Frick

Mehr Informationen zum Stück gibt es hier


Der Beitrag „Die Polizey ist nur so gut wie die Gesellschaft gut ist“ ist von unserer RuhrBühnen-Bloggerin Lea Wunderlich verfasst worden.

Mehr über den Blog, das Projekt und unsere RuhrBühnen-Blogger*innen gibt es hier.

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